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Feststellungen zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung des Bundes - ein weiter Weg aus der Krise

Ausgabejahr 2020
Datum 02.11.2020

Pressemitteilung zum Beratungsbericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages

Der Bundesrechnungshof unterstützt die parlamentarischen Haushaltsberatungen durch Berichte und Stellungnahmen, in denen er dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages seine Prüfungserkenntnisse mitteilt.

Für die Haushaltsberatungen hat er dem Haushaltsausschuss am 2. November 2020 seine Analyse und Bewertung der finanzwirtschaftlichen Lage der Bundesfinanzen übermittelt. Grundlagen des Berichts nach § 88 Absatz 2 BHO sind

  • der Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2021 und
  • der von der Bundesregierung beschlossene Finanzplan 2020 bis 2024.

Auf Grundlage einer kurz vor Abschluss der Haushaltsberatungen von der Bundesregierung zugeleiteten Bereinigungsvorlage wurde die im Regierungsentwurf vorgesehene Nettokreditaufnahme deutlich erhöht, von 96,2 auf 179,8 Mrd. Euro. Ob dies einer bedarfsgerechten Veranschlagung für das kommende Haushaltsjahr entspricht, ist offen. Der Bundesrechnungshof hatte schon für den 2. Nachtragshaushalt 2020 eine erhebliche Überveranschlagung konstatiert.

Dieser Befund dürfte sich zum Jahresende 2020 bestätigen. Besser wäre es daher, auf Haushaltsentscheidungen ohne belastbare Faktenlage zu verzichten und sich stattdessen auf die Berücksichtigung der jetzt absehbaren Krisenbekämpfungsmaßnahmen im Haushalt 2021 zu konzentrieren. Im Frühjahr 2021 könnte dann bei nachgewiesenem Bedarf mit einem Nachtragshaushalt 2021 auf Basis aktueller Daten – insbesondere des Haushaltsabschlusses 2020 ‑ ggf. nachgesteuert werden. Dass ein Nachtragshaushalt sehr schnell auf den Weg gebracht werden kann, zeigt das Beispiel des 1. Nachtrags für das Jahr 2020.

Im Ergebnis werden die getroffenen Feststellungen des Bundesrechnungshofs durch die aktuelle Entwicklung weitgehend bestätigt:

Ausnahmen von der Schuldenregel übermäßig in Anspruch genommen

Die finanzpolitische Reaktion auf die Coronakrise stellt die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen auf eine außergewöhnliche Belastungsprobe. Im Haushaltsplan 2020 wurden Kredite von 218 Mrd. Euro veranschlagt, die vermutlich im Haushaltsvollzug deutlich – um 50 oder sogar noch mehr Milliarden Euro – unterschritten werden. Nach dem Ergebnis der Haushaltsberatungen ist im Haushaltsplan 2021 eine Nettokreditaufnahme von 179,8 Mrd. Euro geplant. Zusammengenommen erhöht dies die seit Bestehen der Bundesrepublik über alle Finanzkrisen hinweg aufgebaute Bundesschuld auf einen Schlag um mehr als 30 %. Dies ist ein einmaliger Vorgang. Die von der Bundesregierung gezogenen Vergleiche zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 greifen daher zu kurz.

Wie bereits für den Haushalt 2020 soll die Regelgrenze der Schuldenbremse auch für das Jahr 2021 durch einen Notlagenbeschluss des Deutschen Bundestages deutlich überschritten werden. Die Überschreitung der Grenzwerte erreicht für beide Haushalte fast zwei Drittel der veranschlagten Nettokreditaufnahmen. Die von der Bundesregierung angeführte Begründung für die Erklärung einer „außergewöhnlichen Notsituation“ im Haushaltsentwurf 2021 entspricht im Wesentlichen den Notlagenbeschlüssen zu den beiden Nachtragshaushalten 2020.

Ein Bemühen, die Kreditaufnahme auf das notlagenindizierte Maß zu begrenzen, ist nicht erkennbar. Konsolidierungsansätze sind nicht vorhanden. Der erforderliche enge Zusammenhang zwischen der höheren Kreditaufnahme und der außergewöhnlichen Notsituation ist nicht bei jeder Maßnahme nachvollziehbar. Vorhandene Haushaltsreserven in Form der allgemeinen Rücklage zur Begrenzung der Notlagenkredite werden nicht genutzt. Die Strategie der Bundesregierung lässt sich dahingehend zusammenfassen: „Schone Rücklage, erkläre Notlage“. Diese Handlungsweise beschädigt die Wirkung der Schuldenregel und ist daher verfassungsrechtlich bedenklich.

Zudem drohen zusätzliche für die Schuldenregel relevante Kreditbelastungen aus der angekündigten Umwandlung von Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit sowie aufgrund möglicher Inanspruchnahmen aus den auf rund 1,2 Billionen Euro heraufgesetzten Gewährleistungen im Bundeshaushalt sowie im Wirtschaftsstabilisierungsfonds.

Finanzplanungsjahre 2022 bis 2024 mit erheblichen Lücken – Normzweck des Finanzplans wird verfehlt

Die aus Überschüssen der Haushalte 2015 bis 2019 gesammelte allgemeine Rücklage von 48,2 Mrd. Euro soll erst in den Haushalten 2022 bis 2024 zur Deckung von Finanzierungslücken herangezogen werden. Selbst dies reicht aber nicht: Die Bundesregierung beziffert den darüber hinaus ungedeckten sog. finanzpolitischen Handlungsbedarf auf 42,5 Mrd. Euro. Dieser stellt nichts anderes als noch zu schließende Haushaltslücken dar. Die Bundesregierung bleibt die konkrete Antwort schuldig, wie diese geschlossen werden sollen. Weitere Globalansätze wie die sog. Bodensatz-GMA (globale Minderausgabe) von jährlich 6 Mrd. Euro verstärken das Problem.

Die Bundesregierung verlängert die Krisenlage damit faktisch in die Finanzplanungsjahre 2022 bis 2024 hinein. Mit den geplanten Nettokreditaufnahmen von 22,4 Mrd. Euro, den Rücklagenentnahmen, Globalansätzen und dem sog. Handlungsbedarf ergibt sich für die Haushalte 2022 bis 2024 eine strukturelle Deckungslücke von insgesamt rund 130 Mrd. Euro. Diese muss ggf. vollständig durch neue Kredite abgedeckt werden. Die Finanzplanung ist damit nicht tragfähig, verfehlt ihren Zweck als mittelfristiges Planungsinstrument und überlässt schmerzhafte Konsolidierungsschritte der kommenden Bundesregierung.

Haushaltsgrundsätze beachten – Haushalt transparenter gestalten

Vor allem im Haushalt 2020 wurden die Ausgabeermächtigungen für Zuweisungen an sog. unechte Sondervermögen in erheblichem Umfang überveranschlagt. Dies betrifft insbesondere den Energie- und Klimafonds. Innerhalb der Sondervermögen sind als Folge Rücklagen entstanden, die Ende 2020 eine Größenordnung von schätzungsweise 30 Mrd. Euro erreichen dürften. Trotzdem sollen verschiedene Sondervermögen auch 2021 weitere buchmäßige Zuführungen aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe erhalten. Auf diese Weise werden Ausgabeermächtigungen in den beiden Krisenjahren veranschlagt, obwohl sie tatsächlich erst Jahre später benötigt werden. Mit der Strategie, Belastungen möglichst nach vorne zu verlagern, sollen offenbar kommende Haushalte entlastet und der Konsolidierungsdruck gemindert werden. Das Vorgehen schafft Intransparenz und verletzt tragende Haushaltsgrundsätze wie Jährlichkeit, Einheit, Wahrheit, Klarheit sowie Fälligkeit (Etatreife). Es beeinträchtigt im Ergebnis auch das Budgetrecht des Haushaltsgesetzgebers.

Bekannte Haushaltsrisiken werden ausgeblendet – Konsolidierungsansätze fehlen

Die Finanzplanung lässt nicht erkennen, wie die vor der Corona-Krise bereits bekannten finanzwirtschaftlichen Herausforderungen angegangen werden sollen. Dies betrifft insbesondere

  • die Folgen des demographischen Wandels für die Handlungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme,
  • die Übernahme der versicherungsfremden Leistungen, insbesondere aus der gesetzlichen Rentenversicherung, durch den Bundeshaushalt,
  • den Ausbau und die Modernisierung der analogen und digitalen öffentlichen Infrastruktur,
  • den Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft im Hinblick auf den Klimawandel,
  • die mehr als großzügige Übernahme der Finanzierung spezifischer Aufgaben der Länder und Kommunen sowie
  • die steigenden europäischen und internationalen Verpflichtungen.

Schuldenaffine Strategie riskant

Die Jahre der anstrengungslosen Haushaltskonsolidierung dank fallender Zinsausgaben und steigender Steuereinnahmen sind vorbei. Dabei ist die aktuell schwierige Haushaltslage nicht allein auf die Corona-Krise zurückzuführen. Sie ist auch das Resultat einer schon vor der Krise verfolgten expansiven Ausgabenlinie, falscher Prioritätensetzungen sowie über Jahre unterlassener Konsolidierungsmaßnahmen z. B. bei den Steuersubventionen und sonstigen Steuervergünstigungen. Die aktuelle kreditausgerichtete Strategie ist riskant. Sie kann auf Dauer nur gutgehen, wenn das Zinsniveau auf dem derzeit historisch niedrigen Stand bleibt.

Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bei allen Gebietskörperschaften gefährdet

Auch die Länder verfolgen zum Teil Maßnahmen mit dem Effekt der Aushebelung oder zumindest Schwächung der Schuldenbremse sowie tragender Haushaltsgrundsätze. Dies gefährdet die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte insgesamt.

Vor diesem Hintergrund haben die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder im Rahmen ihrer Konferenz in Hildesheim am 21. September 2020 eine Erklärung zur Neuverschuldung des Bundes und der Länder im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verabschiedet (Hildesheimer Erklärung). Sie haben u. a. darauf hingewiesen, dass von den Ausnahmen des Neuverschuldungsverbots restriktiv Gebrauch zu machen sei. Es gelte, eine unzulässige Inanspruchnahme der Ausnahmetatbestände und damit eine Umgehung des Verschuldungsverbots zu vermeiden.

 

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