Umsatzsteuerbetrug wirksam bekämpfen
Ausgabejahr
2020
Datum
29.10.2020
Pressemitteilung zum Sonderbericht zur Verbesserung der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung
Finanzbehörden endlich digital aufrüsten
„Gerade in Zeiten der Krisenbewältigung mit erheblichen zusätzlichen Ausgaben muss der Bund seine Steuereinnahmen sichern. Dabei kommt dem Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug eine Schlüsselrolle zu. Umsatzsteuerbetrug verursacht nach wie vor Steuerausfälle in Milliardenhöhe. Dies schadet nicht nur den Haushalten von Bund und Ländern, sondern benachteiligt gerade auch steuerehrliche Unternehmer“, sagte der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller anlässlich der Zuleitung eines Sonderberichts an den Deutschen Bundestag über Maßnahmen zur Verbesserung der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung. „Mit den vorhandenen Betrugsbekämpfungsinstrumenten kann die Finanzverwaltung weder den klassischen Umsatzsteuerkarussellen noch den neuen digitalen Betrugsmodellen die Stirn bieten. Hier ist das Bundesfinanzministerium gefordert, die vorhandenen analogen Instrumente zu verbessern und die Finanzbehörden digital aufzurüsten.“
Kampf gegen Windmühlen
Trotz aller bisherigen Anstrengungen bei der Betrugsbekämpfung ist keine Trendwende erkennbar. Die Betrüger stellen sich schnell und flexibel auf neue Regelungen ein, die klassischen Betrugsmodelle werden zunehmend durch digitale Modelle abgelöst. Bund und Länder laufen diesen Entwicklungen in einem „Hase und Igel-Spiel“ häufig hinterher und haben bislang noch keine wirksame Antwort gefunden. Bescheinigungen in Papierform, fehlende Schnittstellen für Massendaten, nicht vorhandene Online-Recherchewerkzeuge, Zuständigkeitshindernisse oder personelle Engpässe lassen viel Raum für digitale Verbesserungen. Neben strukturellen Defiziten stellte der Bundesrechnungshof auch zahlreiche Vollzugsmängel und sogar Rückschritte bei der Betrugsbekämpfung fest:
- Es fehlt ein Konzept, wie Zukunftstechnologien zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung genutzt werden können. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat bislang noch keine Ansätze zur Einführung einer elektronischen Echtzeitüberwachung und zum Einsatz der Blockchain-Technologie entwickelt. So wie Italien oder Spanien, die Umsatzdaten in Echtzeit erhalten, und damit den zeitlichen Vorsprung der Betrüger minimieren.
- Auch die derzeitige IT-Unterstützung bei der Betrugsbekämpfung ist unzureichend.
- Wesentliche Betrugsbekämpfungsinstrumente brachten über Jahre hinweg nicht den gewünschten Erfolg.
- Zentrale IT-Systeme für die umsatzsteuerliche Kontrolle sind seit Jahren veraltet.
- Kein automatisierter Datenaustausch zwischen den Zentralstellen für Betrugsbekämpfung: es fehlt die technische Infrastruktur.
- Ein nationales Tool für das europäische Frühwarnsystem EUROFISC ist noch nicht entwickelt.
- Die Finanzbehörden wendeten sie aus unterschiedlichen Gründen entweder gar nicht oder nicht gezielt an.
- Ein erfolgreiches Instrument, wie die monatliche Erklärungspflicht für Unternehmensgründer, soll sogar abgeschafft werden.
- Die an sich effektive Umsatzsteuer-Sonderprüfung verliert durch kontinuierlich sinkende Prüfquoten an Schlagkraft.
Internet: Betrugsmodelle der Zukunft
Die Betrugsmodelle der Zukunft liegen im Internet: Angesichts des beträchtlichen Umsatzvolumens beim E-Commerce – allein in Deutschland 72,6 Mrd. Euro in 2019 - ist das Risiko hier hoch. Auf Kontrolldefizite bei der „Steueroase Internet“ wies der Bundesrechnungshof das BMF schon in 2013 und in 2015 hin. Hier ist nicht nachvollziehbar, dass die Finanzverwaltung nach wie vor weder systematisch nach ausländischen Internetanbietern sucht noch über geeignete Aufsichts- und Kontrollmechanismen zur steuerlichen Erfassung verfügt. Das gilt für Social-Media-Akteure, die als Influencer mit Werbung Einnahmen erzielen, und andere E-Märkte (E-Sports, E-Health, E-Games). Auch eine spezielle Internet-Suchmaschine leistet nicht die notwendige Unterstützung. So kann die Steueroase Internet nicht ausgetrocknet werden.
„Es ist unverständlich und nicht nachvollziehbar, dass das BMF den Nutzen digitaler Technologien für die Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung nicht bestreitet, zugleich aber nicht handelt“, sagte Scheller. „Deutschland läuft hier Gefahr, komplett den Anschluss zu verpassen. Andere Staaten sind weiter. Aufgrund des hohen Schadens für den Fiskus und für steuerehrliche Unternehmer duldet vor allem die digitale Neuausrichtung der Betrugsbekämpfung keinen weiteren Aufschub.“
Betrugsbekämpfung zukunftsfähig gestalten
Wegen der gravierenden Defizite bei der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung müssen Gesetzgeber und Verwaltung dringend handeln. Das BMF sollte die Chancen der Digitalisierung jetzt nutzen und gemeinsam mit den Ländern die Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung zukunftsfähig gestalten. Konkret empfiehlt der Bundesrechnungshof unter anderem:
- eine digitale Betrugsbekämpfung unter Nutzung von Blockchain-Technologie und Echtzeitkontrolle auf den Weg zu bringen,
- die klassischen Betrugsbekämpfungsinstrumente zu stärken und in den digitalen Prozess einzubinden,
- zentrale IT-Systeme für die Umsatzsteuerkontrolle endlich zu modernisieren,
- systematisch nach ausländischen und inländischen Internethändlern zu suchen und dabei effektive Recherche-Werkzeuge einzusetzen,
- die monatliche Erklärungspflicht für Neugründer wieder einzuführen und
- das nationale Tool für das europäische Frühwarnsystem EUROFISC schnellstens zu entwickeln.
Die Umsatzsteuer ist mit einem Volumen von 183 Mrd. Euro eine der aufkommensstärksten Steuern in Deutschland. Gleichzeitig ist sie aber auch sehr betrugsanfällig. Systematischer Steuerbetrug und Steuervermeidung führen seit Jahren zu beträchtlichen Steuerausfällen. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission entgehen den Mitgliedstaaten allein durch innergemeinschaftlichen Umsatzsteuerbetrug jährlich Steuereinnahmen von 50 Mrd. Euro. Ein erheblicher Teil der Steuerausfälle entfällt dabei auf Deutschland.
Mit seinem Sonderbericht informiert der Bundesrechnungshof Bundestag und Bundesregierung über den Stand der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung. Er zeigt auf, wie diese verbessert werden kann.