Klimaschutz, Liegenschaftsmanagement, IT-Sicherheit, Steuern, Verkehr, Finanzhilfen des Bundes, Archivierung
Ausgabejahr
2022
Datum
18.04.2023
Pressemitteilung zum Ergänzungsband der Bemerkungen 2022
Der Bundesrechnungshof veröffentlicht neue Prüfungsergebnisse, die seine Bemerkungen 2022 ergänzen. „Mit den heute veröffentlichten Prüfungsergebnissen aktualisieren wir die Grundlage für das laufende parlamentarische Entlastungsverfahren. Dadurch können wir unsere Feststellungen und Empfehlungen kurzfristig einbringen und so dazu beitragen, dass Fehlentwicklungen und unwirtschaftliches Verhalten in der Bundesverwaltung schneller korrigiert werden – um staatliches Handeln besser zu machen“, sagte der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller anlässlich der Veröffentlichung des Ergänzungsbandes. Der Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages berät diese Prüfungsergebnisse bis zur parlamentarischen Sommerpause.
Die aktuelle Ergänzung („Bemerkungen 2022 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes – Ergänzungsband“) umfasst u. a. die folgenden Beiträge:
Klimaschutz
Bundesregierung muss wissen, was Klimaschutz kostet und wie er wirkt
Die Bundesregierung investiert Milliarden in den Klimaschutz, weiß aber nicht, wie erfolgreich ihre Investitionen sind und ob sie sich lohnen. Für das Erreichen der Klimaneutralität benötigt der Bund allein bis 2030 einen dreistelligen Milliardenbetrag. Um den wirksamen und wirtschaftlichen Einsatz dieser Mittel sicherzustellen, muss die Bundesregierung ihre Klimaschutzpolitik besser steuern. Der Klimaschutzbericht in seiner derzeitigen Form ist dafür ungeeignet. Auch die für den Bundeshaushalt geplante Kennzeichnung („Tagging“), mit der sichtbar werden soll, welche Nachhaltigkeitsziele mit einzelnen Ausgaben verfolgt werden, eignet sich hierfür nicht. Die Bundesregierung benötigt vielmehr ein genaues und umfassendes Bild über die Auswirkungen ihres politischen Handelns auf den Klimaschutz, auch um Zielkonflikte rechtzeitig identifizieren und nachsteuern zu können. Sie muss daher ihre Ausgaben und Einnahmen dahingehend bewerten, ob sie klimafreundlich, klimaneutral oder klimaschädlich sind und diese Informationen in einem „Klimahaushalt“ zusammenfassen. Außerdem sollte sie im Klimaschutzbericht für alle Maßnahmen auch die Treibhausgasminderungen sowie den damit verbundenen Mittelbedarf angeben. Denn die Bundesregierung muss jederzeit wissen, was der Klimaschutz den Bund kostet und wie er wirkt.
Liegenschaftsmanagement
Einsparungen in Millionenhöhe und Beitrag zum Klimaschutz: Bund muss Büroflächen reduzieren
Der Bund hat seine jahrzehntealten Vorgaben für Büroflächen nicht an flexible und mobile Arbeitsformen angepasst. Mittlerweile benötigt er deutlich weniger Büroflächen, so dass unnötige Ausgaben in Millionenhöhe entstehen. Wenn die zivilen Bundesbehörden 20 % der Büroflächen aufgeben würden, könnte der Bund jährlich mindestens 300 Mio. Euro Kaltmiete sparen. Er würde auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, weil er weniger Gebäude sanieren und beheizen müsste. Der Bund sollte überzählige Büroflächen abgeben und Neubauten auf ein Mindestmaß beschränken. Er braucht unverzüglich Vorgaben für eine zeitgemäße Büroflächenplanung und ein Programm zur Flächenreduzierung. Moderne Konzepte wie die Nutzung eines Büroarbeitsplatzes durch mehrere Beschäftigte lassen sich zügig, ohne Umbauten und daher kostengünstig umsetzen.
IT-Sicherheit
Bundesbehörden bei Informationssicherheit zentral unterstützen und IT-Personal entlasten
Umfangreiche und komplexe Vorgaben zur Informationssicherheit sowie fehlendes IT-Personal führen dazu, dass Bundesbehörden wichtige Sicherheitsmaßnahmen über viele Jahre hinweg unzureichend oder gar nicht umsetzten. Die bewusst allgemeingültigen und abstrakten Anforderungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, der sogenannte IT-Grundschutz, richten sich an öffentliche und private Adressaten. Bundesbehörden benötigen teilweise mehrere Jahre, um diese Anforderungen konzeptionell, organisatorisch und technisch an ihren jeweiligen Bedarf anzupassen. Diese Situation wird durch den IT-Personalmangel verstärkt. Auch deswegen stellte der Bundesrechnungshof in zahlreichen Bundesbehörden über Jahre hinweg gravierende technische und organisatorische Mängel bei der Informationssicherheit fest. Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat ist zumindest durch die Berichte des Bundesrechnungshofes bekannt, dass viele Behörden Schwierigkeiten mit den komplexen Anforderungen haben. Um das IT-Personal zu entlasten, sollte es den IT-Grundschutz auf die Bedürfnisse der Bundesbehörden hin überprüfen und anpassen lassen. Speziell auf die Bundesverwaltung zugeschnittene Musterlösungen könnten zur Informationssicherheit beitragen sowie den Aufwand in den einzelnen Behörden verringern. Das dortige IT-Personal würde dadurch entlastet und könnte sich auf die wichtige Aufgabe konzentrieren, Gefahren und Cyber-Angriffe zu erkennen und abzuwehren.
Steuern
Immer mehr Oldtimer-Kennzeichen für Alltagsfahrzeuge: hoher Steuerverzicht und Schadstoffbelastung
Die Vergünstigung bei der Kraftfahrzeugsteuer für Oldtimer, die als Alltagsfahrzeuge genutzt werden, widerspricht dem ursprünglichen Ziel des Gesetzgebers und den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung. Die Oldtimer-Besteuerung über eine günstige Jahrespauschale sollte ursprünglich nur für Fahrzeuge mit geringer Fahrleistung gelten, die als historische Sammlerstücke zur Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturguts eingesetzt werden. Bei ihrer Einführung 1997 ging der Gesetzgeber von 135 000 Oldtimern aus. Mittlerweile gilt die Besteuerung auch für Fahrzeuge, die im Alltagsverkehr als normales Beförderungsmittel genutzt werden. Durch die zuletzt rasante Zunahme auf fast 400 000 steuerlich begünstigte Fahrzeuge nimmt der Bund jährlich 170 Mio. Euro weniger Kraftfahrzeugsteuer ein. Aufgrund der deutlich höheren Schadstoffbelastung durch alte Fahrzeuge widerspricht das auch den klimapolitischen Zielen des Bundes. Der Bundesrechnungshof empfiehlt, diese Fehlentwicklungen zu beseitigen. Er fordert vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) eine zügige Gesetzesinitiative, um Alltagsfahrzeuge aus der besonderen Oldtimer-Besteuerung auszuschließen.
Luftverkehrsteuer reformieren – Hohe Mindereinnahmen drohen
Die jährliche Absenkung bei der Luftverkehrsteuer führt zu hohen Mindereinnahmen des Bundes. Gleichzeitig konterkariert sie das mit der Einführung verfolgte Ziel, klima- und umweltschädliches Fliegen zu verteuern. Das BMF senkt die Luftverkehrsteuer jährlich ab, wenn der Bund Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionsberechtigungen im Luftverkehr erzielt: je höher die Einnahmen, desto niedriger die Luftverkehrsteuer. Änderungen im Europäischen Emissionshandel werden dazu führen, dass sich dieser Effekt deutlich verstärkt. Es drohen daher Mindereinnahmen im dreistelligen Millionenbereich. Das BMF sollte den Absenkungsmechanismus nicht nur kritisch überprüfen, sondern dessen Abschaffung anstoßen.
Verkehr
Pandemiefolgen überkompensiert: BMDV fördert Schienengüterverkehr mit über 340 Mio. Euro mehr als notwendig
Obwohl die pandemiebedingten Verluste für den Schienengüterverkehr höchstens 280 Mio. Euro betrugen, zahlte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) rückwirkend 627 Mio. Euro an die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Es hatte ihnen schon zuvor bereits die Hälfte der Nutzungsentgelte für das Schienennetz erstattet; nunmehr übernahm es die Entgelte nahezu vollständig. Damit wollte das BMDV diese Unternehmen wirtschaftlich unterstützen. Es untersuchte aber weder die Wirtschaftlichkeit dieser Förderung noch kontrollierte es deren Erfolg. Ein Untersuchungsergebnis der Bundesnetzagentur, dass die pandemiebedingten Verluste im Schienengüterverkehr deutlich geringer waren, ignorierte das BMDV. Durch die Überkompensation entstanden hohe Mitnahmeeffekte. Bei künftigen Förderprogrammen muss das BMDV Haushaltsrecht beachten und die Wirtschaftlichkeit der Förderung vorab und begleitend prüfen. Es muss wirksame Vorkehrungen treffen, um Mitnahmeeffekte auszuschließen.
Schiffshebewerk Niederfinow: Zweifelhafte Einigung mit dem Auftragnehmer zu Lasten des Bundes
Baustreitigkeiten zwischen BMDV und Auftragnehmer prägten den nun fast 400 Mio. Euro teuren Ersatzbau des Schiffshebewerks Niederfinow. Kurz vor der Fertigstellung eskalierten die Streitigkeiten. Das BMDV befürchtete eine Bauruine. Entgegen haushaltsrechtlicher Vorschriften schloss es einen Vergleich mit dem Auftragnehmer, ohne zu prüfen, ob dies für den Bund zweckmäßig und wirtschaftlich war. Dabei hatten sowohl die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung als auch der juristische Berater festgestellt, dass die Forderungen des Auftragnehmers in der Sache und in der Höhe nicht gerechtfertigt waren. Das BMDV hätte den Vergleich deshalb nicht abschließen und die Vergleichssumme von 107 Mio. Euro nicht zahlen dürfen.
Finanzhilfen des Bundes
Ganztagsbetreuung zielgenau fördern
Beim Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder unterstützt der Bund die Länder mit bis zu 3,5 Mrd. Euro, fördert aber teilweise am Bedarf vorbei. Die Finanzhilfen verteilt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nach dem Königsteiner Schlüssel. Dieser orientiert sich aber nicht am tatsächlichen Betreuungsbedarf, sondern am Steueraufkommen und der Bevölkerungszahl der einzelnen Länder. Erkenntnisse über einen länderspezifischen und teilweise zukünftig geringeren Betreuungsbedarf ignorierte das BMFSFJ. Denn der notwendige Ausbau der Ganztagsbetreuung verteilt sich ungleich auf die Länder: Da in fünf Ländern die Zahl der Grundschulkinder in den nächsten Jahren voraussichtlich sinken wird, geht das BMFSFJ derzeit von bis zu 185 000 Plätzen zu viel aus. Eine Anpassung würde bis zu 700 Mio. Euro einsparen. Notwendig ist ein Verteilungsmaßstab, der die unterschiedlichen Bedarfe beim Ausbau der Ganztagsbetreuung zutreffend abbildet. Das BMFSFJ sollte seine Bedarfsermittlung korrigieren und die Länder bedarfsorientiert fördern.
Leistungen für Unterkunft und Heizung: BMAS darf nicht hinnehmen, dass Länder und Kommunen Bundesmittel falsch abrechnen
Der Bund nimmt fehlerhafte Abrechnungen seines Anteils bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung für Arbeitsuchende in der Grundsicherung weitgehend tatenlos in Kauf. Bei Prüfungen von 32 der 405 Kommunen fielen umfangreiche falsche Abrechnungen auf. Anschließende Korrekturen der Länder verhinderten einen finanziellen Nachteil für den Bund von 9,8 Mio. Euro. Weitere Rückerstattungsansprüche des Bundes waren bereits verjährt. Auch bei den nicht geprüften 373 Kommunen sind vergleichbare Abrechnungsfehler zu erwarten. Offen bleibt, in welcher Höhe sich die nicht erkannten Fehler finanziell auswirken. Trotz seiner Finanzierungsverantwortung sieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ausschließlich die Länder in der Pflicht. Es darf falsche Abrechnungen nicht passiv hinnehmen, sondern muss seine Verantwortung für den Einsatz von Bundesmitteln künftig aktiv wahrnehmen. Es ist seine Aufgabe, in Zusammenarbeit mit den Ländern eine korrekte Abrechnung sicherzustellen.
Leistungen für Unterkunft und Heizung zahlen die Jobcenter im Auftrag der Kommunen aus. Die Kommunen melden ihre Ausgaben den Ländern. Die Länder rechnen wiederum den Bundesanteil mit dem BMAS ab.
Finanzhilfen besser mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verzahnen
Der Bund stellt nicht sicher, dass Länder und Kommunen Nachhaltigkeitsaspekte ausreichend berücksichtigen, wenn sie die erheblichen Finanzhilfen des Bundes einsetzen. So unterstützt der Bund allein finanzschwache Kommunen mit 7 Mrd. Euro in einem gesonderten Programm. Er fördert damit u. a. energetische Sanierungen, Lärmbekämpfung, Städtebau oder Luftreinhaltung. Der Bundesrechnungshof prüfte 740 solcher Maßnahmen in 177 Kommunen. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigten die Kommunen dabei nur bei weniger als 5 % der geprüften Fördermaßnahmen. Grund dafür ist, dass die Regelungen zu Finanzhilfen hierzu keine Vorgaben enthalten, obwohl der Bund entsprechende Steuerungs- und Kontrollrechte hat. Damit verspielt der Bund eine wesentliche Möglichkeit, die Nachhaltigkeitsziele stärker zu unterstützen, obwohl er selbst den Kommunen dabei eine herausragende Rolle einräumt. In die bestehende Leitlinie zu Steuerungs- und Kontrollrechten des Bundes bei Finanzhilfen sollte das BMF daher Eckpunkte zur Berücksichtigung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für künftige Finanzhilfen aufnehmen.
Bundesbeauftragte für Kultur und Medien
Rekonstruktion zerrissener Stasi-Unterlagen bislang gescheitert: Hohe Kosten und seit fast drei Jahrzehnten kein Fortschritt
In 28 Jahren rekonstruierte das Stasi-Unterlagen-Archiv lediglich 3,2 % der Schriftstücke, die der Staatssicherheitsdienst der DDR noch vor der Wiedervereinigung beseitigen wollte. Das Archiv gehört zum Geschäftsbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Ein 17 Mio. Euro teurer Versuch, die in 16 000 Säcken lagernden zerrissenen Unterlagen digital zusammenzusetzen, scheiterte. Nachdem zunächst die Schriftstücke aus etwa 500 Säcken per Hand rekonstruiert wurden (3,1 % des Gesamtbestands), sollte ab 2007 ein Forschungsinstitut ein IT-Verfahren entwickeln, um die Rekonstruktion zu beschleunigen. Ziel war, festzustellen, ob der Gesamtbestand innerhalb von fünf Jahren wirtschaftlich vertretbar rekonstruiert werden kann. Bis 2013 gelang es lediglich, Unterlagen aus 23 Säcken digital wiederherzustellen (0,1 % des Gesamtbestands). Dann gab das Forschungsinstitut bekannt, dass die Rekonstruktion in der vorgegebenen Zeit nicht gelingen werde. Seitdem verhandeln der Bund und das Forschungsinstitut ergebnislos über eine Neuausrichtung des Projekts. Im Januar 2023 kündigte die BKM an, die Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut beenden zu wollen. Die BKM kennt und begleitet den mangelnden Fortschritt seit fast einem Jahrzehnt und blieb trotz wiederholter Hinweise des Bundesrechnungshofes untätig. Der Bundesrechnungshof fordert, die Rekonstruktion zerrissener Unterlagen umgehend neu auszurichten.