Bundeshaushalt durchgreifend konsolidieren: Strukturelle Veränderungen angehen, keine neuen Fluchtwege zulassen
Ausgabejahr
2024
Datum
16.04.2024
Pressemitteilung zur Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Kay Scheller, zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 und der Finanzplanung bis 2028
„Der Bundeshaushalt 2025 und die Finanzplanung bis 2028 stellen die Bundesregierung vor außerordentliche Herausforderungen. Strukturelle Versäumnisse der Vergangenheit, die sich weiter verschärfen, treffen auf neue Problemlagen,“ sagte der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), anlässlich der Veröffentlichung einer Stellungnahme zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 und der Finanzplanung bis 2028. „Es ist unerlässlich, sich über die ernste Lage der Bundesfinanzen bewusst zu werden. Nur ein ungeschminktes Bild der tatsächlichen Situation wird notwendige Veränderungsprozesse ermöglichen. Sie dürfen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Das erfordert einen durchgreifenden Konsolidierungsplan, der alle gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt und der es ihnen ermöglicht, sich auf Belastungen rechtzeitig einzustellen.“
Strukturelle Haushaltsprobleme weiterhin ungelöst
Der Bundesminister der Finanzen hat im Sommer letzten Jahres für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 und die Finanzplanung bis 2028 den Einstieg in eine „qualitative Konsolidierung“ angekündigt. Der BWV unterstützt dieses Vorhaben vorbehaltlos. Lange bekannte und drängende haushaltspolitische Fragen sind nach wie vor ungelöst:
- Die künftige Finanzierung der militärischen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands über das Sondervermögen Bundeswehr hinaus ist unsicher.
- Die Finanzierung des klimaneutralen Umbaus von Gesellschaft und Wirtschaft ist nach Wegfall der in den Klima- und Transformationsfonds übertragenen 60 Mrd. Euro unklarer denn je.
- Langfristige Tragfähigkeitskonzepte für die Sozialversicherungen fehlen weiterhin, insbesondere mit Blick auf die demografische Entwicklung.
- Der Bundeshaushalt bleibt versteinert: Der Anteil der fest gebundenen Ausgaben liegt weiter bei 90 %. Die verbleibenden 10 % laufen Gefahr, durch steigende Zinsausgaben weiter zu schrumpfen.
- Es gibt keinen Risikopuffer, keinerlei Spielräume, um auf unerwartete größere Problemstellungen fiskalisch reagieren zu können.
- Die Mitfinanzierung des Bundes von Landes- und Kommunalaufgaben verharrt auf hohem Niveau.
- Eine Verbesserung der Einnahmenbasis ist nicht in Sicht. Der Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen sowie die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung kommen nicht voran.
Scheller: „Ein Konzept zur Lösung der seit Jahren verschleppten strukturellen Probleme ist längst überfällig. Langfristige Zukunftsgestaltung endet nicht nach drei Jahren am Horizont der Finanzplanung. Der Bund braucht eine mittel- und langfristige Perspektive von mindestens fünf bis zehn Jahren für die wichtigen Zukunftsbereiche Verteidigung, Klimaschutz und Sozialversicherung.“
Weitere Zuspitzung in 2028 absehbar
Neben den ungelösten strukturellen Problemen werden die Bundesfinanzen bereits in wenigen Jahren mit weiteren, erheblichen Belastungen konfrontiert. Im Schlüsseljahr 2028
- werden die Tilgungsverpflichtungen aus den Corona- Notlagenkrediten mit rd. 9,2 Mrd. Euro jährlich fällig - für die folgenden 30 Jahre,
- wird das Sondervermögen Bundeswehr voraussichtlich ausgeschöpft sein. Das politisch zugesagte NATO-2 %-Ziel muss dann vollständig aus dem Bundeshaushalt bestritten werden: im Einzelplan 14 ein Anstieg auf bis zu 85 Mrd. Euro in 2028 (von geplanten 52 Mrd. Euro in 2027),
- beginnt die grundsätzliche Verpflichtung zur Rückzahlung der für das Sondervermögen Bundeswehr aufgenommenen Kredite und die Rückzahlung der von der EU für die Finanzierung des EU-Wiederaufbaufonds aufgenommenen Kredite.
„Im Jahr 2028 wird sich die angespannte Lage der Bundesfinanzen noch einmal zuspitzen. Gleichzeitig gilt das Transparenzgebot von Haushaltsklarheit und -wahrheit auch für die Finanzplanung. Der BWV rät der Bundesregierung daher zu realistischen Annahmen der zusätzlichen Haushaltsbelastungen und zu klaren Aussagen, wie sie diese finanzieren will,“ resümiert Scheller.
Schulden haben einen Preis, keine Flucht in neue Schulden
Das Ausweichen in immer mehr Schulden ist keine geeignete Option zur Lösung der immer drängenderen und kumulierenden Probleme. Denn der Schuldenstand des Bundes hat seinen konkreten Preis in Form von Zinszahlungen. Scheller: „Schulden lösen nur scheinbar Probleme, sie schaffen neue.“ Je höher der Schuldensockel wächst, je mehr erhöht sich das Risiko steigender Zinsausgaben. Die für das Jahr 2024 eingeplanten Zinsausgaben betragen 37,4 Mrd. Euro – die im Bundeshaushalt ausgewiesene Nettokreditaufnahme im Jahr 2024 beträgt 39 Mrd. Euro. Damit werden die aufgenommenen Kredite rechnerisch fast vollständig für Zinszahlungen benötigt und stehen nicht für andere Zwecke zur Verfügung.
Keine neuen Fluchtwege zulassen, bewährte Schuldenregel beibehalten
Die drängenden Probleme dürfen nicht dazu führen, neue Fluchtwege zu beschreiten. Das gilt konkret:
- für eine Veränderung der Berechnungsmethodik der Konjunkturkomponente: Sie darf nicht auf unzulässige Weise zu einem höheren Spielraum bei der Kreditaufnahme führen.
- für weitere grundgesetzliche Ausnahmen der Schuldenregel: Das Sondervermögen Bundeswehr sollte die absolute Ausnahme sein.
- für weitere Notlagenerklärungen: Die Notlage darf nicht zur Normallage werden.
- für die Bereinigung um finanzielle Transaktionen, wie die geplante Eigenkapitalerhöhung der Deutschen Bahn AG zur Finanzierung der Schieneninfrastruktur: Vermögensverzehrende Zuwendungen dürfen nicht als vermögensneutral gestaltet werden, um höhere Verschuldungsspielräume zu gewinnen.
Fazit: Grundzüge eines durchgreifenden Konsolidierungsplans
„Der Ernst der Lage erfordert ein schnelles, durchgreifendes und nachhaltiges Handeln der Verantwortlichen,“ so Scheller weiter. „Die Zeit drängt. Der Bund sollte unsere Empfehlungen nutzen, um den notwendigen Veränderungsprozess anzugehen. “
Der Bund sollte:
- einen durchgreifenden Konsolidierungsplan vorlegen, der alle gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt und es ihnen gleichzeitig ermöglicht, sich rechtzeitig auf Belastungen einzustellen,
- bei der Lösung der seit Jahren verschleppten strukturellen Probleme über den 3-Jahres-Horizont der Finanzplanung deutlich hinausgehen,
- die weitere, spätestens ab dem Jahr 2028 eintretende Zuspitzung der Haushaltslage offen kommunizieren und Lösungen bereits jetzt in der Finanzplanung abbilden,
- seine Verschuldung unter Kontrolle halten und dem Risiko steigender Zinszahlungen entgegenwirken,
- weiterhin bestehende Umgehungen der Schuldenregel und damit das Risiko verfassungswidriger Bundeshaushalte beenden,
- neuen Fluchten aus der Schuldenregel unterlassen und
- das Verfahren zur Aufstellung des Bundeshaushalts und des Finanzplans an der finanzpolitischen Realität und nicht an Ressortinteressen ausrichten.
Lenkungswirkung des Eckwerteverfahrens nicht aufgeben
Erneut will die Bundesregierung kein Eckwerteverfahren zur Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 und der neuen Finanzplanung durchführen. Damit entfällt dessen wichtige Lenkungswirkung zu Beginn der Haushaltsaufstellung – mit der Gefahr eines ungeordneten weiteren Verfahrens, in dem Ressortinteressen über das Gesamtinteresse stabiler Bundesfinanzen dominieren. Der BWV empfiehlt, das Eckwerteverfahren gesetzlich vorzugeben, um dessen Anwendung künftig sicherzustellen.
Hintergrund
Die Herausforderungen für die Haushaltsaufstellung 2025 und die neue Finanzplanung sind enorm. Als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung legt der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, daher zu einem frühen Zeitpunkt eine Bestandsaufnahme zur Lage der Bundesfinanzen vor und macht Vorschläge für deren Konsolidierung.
Der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung wirkt durch Vorschläge, Gutachten oder Stellungnahmen auf eine wirtschaftliche Erfüllung der Bundesaufgaben und eine entsprechende Organisation der Bundesverwaltung einschließlich ihrer Sondervermögen und Betriebe hin. Er kann dabei auf eigene Initiative beratend tätig werden. Traditionell übt der Präsident des Bundesrechnungshofes das Amt des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung aus. Über die Bestellung entscheidet die Bundesregierung.
Mehr zu den Feststellungen und Empfehlungen lesen Sie in der Stellungnahme des BWV an das Bundesministerium der Finanzen: