Nutzung sozialer Medien durch die Fraktionen: Rechtsrahmen reformieren, Rechtssicherheit schaffen
Ausgabejahr
2024
Datum
27.03.2024
Pressemitteilung zum Sonderbericht zur Notwendigkeit eines neuen Rechtsrahmens für die Nutzung sozialer Medien durch die Fraktionen des Deutschen Bundestages
Systemische Fehlanreize führen derzeit zu einer zweckwidrigen Mittelverwendung.
„Bei der Nutzung sozialer Medien verwenden die Fraktionen des Deutschen Bundestages Bundesgelder auch zweck- und damit auch regelwidrig. Der derzeitige Rechtsrahmen für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen begünstigt dies. Er gibt systemisch bedingt erhebliche Fehlanreize, für die eigene Politik, für die eigene Partei und damit für die Wiederwahl zu werben. Und das ist regelwidrig“, fasst der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller zusammen. Anlass ist die Zuleitung eines Berichts über die Nutzung sozialer Medien durch die Fraktionen des Deutschen Bundestages. „Der Gesetzgeber bleibt aufgefordert, die Vorgaben zu reformieren und zu präzisieren. Sie sollten für alle Akteure verbindlich, klar und zeitgemäß regeln, was erlaubt ist und was nicht. Verstöße brauchen Sanktionen, damit sie ‚unattraktiv‘ sind.“
Regelwidriger Mitteleinsatz in den sozialen Medien
Der Bund stellt den Fraktionen des Deutschen Bundestages Geld- und Sachleistungen von derzeit jährlich 140 Mio. Euro aus dem Bundeshaushalt (Fraktionsmittel) zur Verfügung. Damit finanzieren sie unter anderem ihre Öffentlichkeitsarbeit, also auch ihre Auftritte in den sozialen Medien. Der Bundesrechnungshof hat überprüft, welche Posts die Fraktionen unmittelbar vor der letzten Bundestagswahl 2021 veröffentlicht haben. Die abschließenden Prüfungsmitteilungen mit zahlreichen Einzelbeispielen hat er auf seiner Internetseite veröffentlicht. Das Ergebnis ist deutlich: Die weit überwiegende Zahl der untersuchten Posts (mindestens 70 %) in den sechs Wochen vor der Wahl war unzulässig, weil sie nicht oder nicht nur über Tätigkeiten der Fraktionen unterrichteten. Stattdessen transportierten sie auch darüberhinausgehende Inhalte oder enthielten sogar direkte Partei- oder Wahlwerbung. So wurden Fraktionsmittel zweck- und damit regelwidrig für Parteiaufgaben verwendet. In der Woche vor der Wahl waren sogar 75 % bis 100 % der Posts unzulässig.
Systemische Fehlanreize bei der Fraktionsfinanzierung
Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, das Problem hat vielmehr systemische Ursachen: „Fraktionen haben naturgemäß ein großes Eigeninteresse an guten Wahlergebnissen ‚ihrer‘ Parteien“, erläutert Scheller. Schneiden diese bei Wahlen erfolgreich ab, sichern sie für ihre Abgeordneten den Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Ebenso erhöhen sie die Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Für Fraktionen besteht damit ein erheblicher Anreiz, für „ihre“ jeweilige Partei zu werben.
Die Mittel für die staatliche Finanzierung der Fraktionen und damit auch deren Öffentlichkeitsarbeit unterliegen keiner Begrenzung. Die Mittel für die staatliche Finanzierung der Parteien schon. Der Haushaltsgesetzgeber kann selbst über die Höhe der Fraktionsmittel entscheiden. Hier besteht eine Gefahr, dass sich die Fraktionen im Ergebnis Mittel bewilligen, mit denen sie über ihre Aufgaben hinaus auch Parteiaufgaben wahrnehmen.
Wirksame Sanktionsmechanismen fehlen
In der Praxis haben Regelverstöße gegenwärtig keine Konsequenzen. Wirksame Sanktionsmechanismen, die Regelverstößen von Fraktionen entgegenwirken, fehlen. Die Fraktionen müssen zweck- und damit regelwidrig verwendete Gelder nicht zurückzahlen. Sie können auch nicht gezwungen werden, unzulässige Posts in den sozialen Medien zu löschen. Die Fraktionen haben also nichts zu befürchten, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Denn: das Abgeordnetengesetz regelt bisher nicht ausreichend, welche Rolle die Verwaltung des Deutschen Bundestages bei Regelverstößen hat und wie sie ihre Rolle wahrzunehmen hat.
„Es ist offensichtlich, dass die Fraktionen sich nicht selbst kontrollieren und sanktionieren können“, sagte Scheller. „Wir empfehlen daher, wirksame Sanktionsmechanismen zu schaffen, die auch kurzfristig greifen und wirken.“ Sie sind erforderlich, damit die Fraktionen nicht von regelwidrig mit Fraktionsmitteln finanzierter Öffentlichkeitsarbeit profitieren. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass die Prüfung und Anwendung von Sanktionen Aufgaben der Verwaltung des Deutschen Bundestages sind.
Rechtssicherheit schaffen
Die gegenwärtige gesetzliche Regelung bietet den Fraktionen keinen eindeutigen und rechtssicheren Handlungsrahmen für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Sie führt zu uneinheitlicher Rechtsanwendung unter den Fraktionen. Im Ergebnis lehnen die Fraktionen die gegenwärtige Regelung sogar ab, weil sie die Regelung als zu restriktiv, lebensfremd und nicht mehr zeitgemäß empfinden.
„Bleibt die Rechtslage unzureichend und bleiben Verstöße ohne effektive Sanktionen, können die Fraktionen ihre Mittel bei der Nutzung sozialer Medien weiter regelwidrig auch für Parteiaufgaben verwenden und so das Verbot der verdeckten Parteienfinanzierung umgehen“, so Scheller. „Der Zustand gefährdet letztendlich die verfassungsrechtliche Legitimation der Fraktionsfinanzierung.“
Der Gesetzgeber sollte daher einen rechtssicheren, verbindlichen Rahmen für die Nutzung sozialer Medien durch die Fraktionen schaffen. Dieser sollte insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen fraktioneller Öffentlichkeitsarbeit einschließlich der Nutzung der sozialen Medien umfassen. Dabei bedarf es einer klaren Abgrenzung zwischen fraktioneller, nach außen gerichteter Informationsarbeit und parteibezogenen Inhalten. Detailfragen können die nach dem Abgeordnetengesetz vorgesehenen – aber immer noch nicht verabschiedeten – Ausführungsbestimmungen des Ältestenrats regeln.