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Ziele der Bahnreform in Deutschland nicht erreicht

Datum 17.01.2019

Statement des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor sechs Wochen hatten wir schon einmal das Thema Bahn. Es ging um den Erhalt der Eisenbahninfrastruktur, die laufenden Verhandlungen des Bundes mit der DB AG dazu – und um die künftige Finanzierung. Stichwort LuFV III, die Rolle des Bundes als Zuwendungsgeber, seine Verhandlungsziele – im Sinne eines wirksameren Einsatzes von Bundesmitteln für die Bahninfrastruktur; also, um eine bessere Mobilität auf der Schiene.

Auch heute geht es um Schienenmobilität. Im Mittelpunkt steht aber das Unternehmen Deutsche Bahn AG. Wie nimmt es seinen Auftrag wahr. Da die DB AG im hundertprozentigen Eigentum des Bundes steht, geht es auch wieder um die Rolle des Bundes – diesmal aber als Alleineigentümer der Bahn.

Vor 25 Jahren gründete der Bund die DB AG mit einer grundlegenden Bahnreform mit zwei Kernzielen:

  1. mehr Verkehr sollte von anderen Verkehrsträgern auf die Schiene kommen;
  2. die Haushaltsbelastungen des Bundes durch die Eisenbahnen sollten zurückgeführt werden, in Grenzen gehalten werden.

Hinter diesen Zielen stand und steht ein Verfassungsauftrag, ein Gewährleistungsauftrag des Grundgesetzes. Danach muss der Bund sicherstellen, dass Ausbau und Erhalt der Bahninfrastruktur und die Verkehrsangebote der Eisenbahnen des Bundes dem Wohl der Allgemeinheit Rechnung tragen. Konkret: Die Schiene soll in Deutschland ein zuverlässiger und attraktiver Mobilitätsträger für Personen und Güter sein. Darauf hat der Bund zu achten. Er ist verantwortlich als Alleineigentümer DB AG.

Nach 25 Jahren muss man nun feststellen: Bund und DB AG haben beide Ziele der Bahnreform verfehlt.

Weder kam seit der Reform von anderen Verkehrsträgern mehr Verkehr auf die Schiene, noch wurde der Bundeshaushalt entlastet.

Mehr noch: Die DB AG hat sich seit ihrer Gründung in eine Richtung entwickelt, die eher weg vom Verfassungsauftrag führt als zu ihm hin. Der Verfassungsauftrag ist liegen geblieben. Und der Bund hat tatenlos zugeschaut.

Zu den Verkehrsanteilen:

Im Verhältnis zur Straße kam seit Gründung der DB AG nicht mehr Verkehr auf die Schiene. Im Güterverkehr liegt der Verkehrsanteil der Eisenbahn sogar niedriger als 1990. Betrachtet man allein die Schiene als Verkehrsträger, so sanken dort die Marktanteile der DB AG beim Personennahverkehr und beim Güterverkehr gegenüber ihren Anteilen Anfang der 1990er. Beim Personenfernverkehr ist die DB AG weiterhin Monopolist. Auch hier gab es im Verhältnis zu anderen Verkehrsträgern keine Trendwende zugunsten der Eisenbahn.

Zu den Finanzen:

Die DB AG ist größter Zuwendungsempfänger des Bundes. 2017 erhielt sie 6,7 Mrd. Euro Investitionszuschüsse für das deutsche Schienennetz.

Für den Nahverkehr in Deutschland wurde sie 2017 mit 4,7 Mrd. Euro subventioniert, für den Nahverkehr in anderen europäischen Ländern erhielt sie über Arriva etwa 2 Mrd. Euro. 2017 waren somit fast 15 % der gesamten Konzernerträge staatlicher Herkunft.

Zudem gewährte ihr der Bund 2017 eine Kapitalhilfe von 1 Mrd. Euro und verzichtete auf Dividenden in Höhe von 1,4 Mrd. Euro. Die Belastungen des Bundeshaushalts sind also weiterhin hoch.

Gleichzeitig hat sich die DB AG seit Gründung mit fast 20 Mrd. Euro verschuldet – Tendenz steigend. Obwohl sie schuldenfrei gegründet wurde.

Zur strategischen Ausrichtung:

Die DB AG hat sich in den letzten 15 Jahren auf eine Teilprivatisierung vorbereitet, die bereits vor 10 Jahren gescheitert ist. Statt sich auf das Gemeinwohl zu konzentrieren, auf ihren Mobilitätsauftrag in Deutschland, hat sie sich stark international in verschiedenen Verkehrssegmenten engagiert.

Sie ist zum „global player“ geworden und in rund 140 Ländern unternehmerisch tätig – nicht selten in bahnfremden Feldern. 73 % der Tochterunternehmen des Konzerns haben ihren Sitz im Ausland. Das sind 513 von 700 Unternehmen. Fast die Hälfte seines Umsatzes erzielt der Konzern im Ausland. Vier von zehn Mitarbeitern arbeiten im Ausland.

Beispielhaft für diese Entwicklung steht der Kauf vormals börsennotierter Konzerne wie Stinnes/Schenker in 2002. Über die Schenker AG betreibt der Bund riesige Logistikkapazitäten und transportiert damit weltweit Waren aller Art.

Ein anderes Beispiel ist der Erwerb von Arriva im Jahr 2010. Hier engagiert sich der Bund mittelbar im Regionalverkehr in weiten Teilen Europas – dazu gehören auch Wassertaxen.

Aus dieser globalen Geschäftstätigkeit ergeben sich jedoch keine positiven Effekte für die Ertrags- und Finanzlage der Eisenbahn in Deutschland. Die Gewinne verbleiben im Ausland und werden dort in die weltweite Expansion des Konzerns investiert. Von diesem internationalen Wachstum profitiert das heimische Kerngeschäft bislang nicht, obwohl dieses ja Ausgangspunkt und Kernaufgabe des Unternehmens ist.

Mehr noch: Alle unternehmerischen Risiken des internationalen Geschäfts liegen beim Bund und können sich zu Lasten der Eisenbahn in Deutschland auswirken. Außerdem bindet das internationale Geschäft erhebliche Managementkapazitäten, die dringend für die Lösung der Probleme im heimischen Geschäftsbereich benötigt würden.

Dazu kommen auch Fehlinvestitionen in Deutschland. Beispiel Stuttgart 21. Hierfür werden nach bisherigen Schätzungen mehr als 5 Mrd. Euro Eigenmittel der DB AG verausgabt – für ein Projekt, dessen Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist.

Durch derartige Verlagerungen und fragwürdige Unternehmens- und Investitionsentscheidungen fehlen die Mittel im heimischen Kerngeschäft, um den Betrieb der Eisenbahn zu sichern und weiterzuentwickeln. So ist die DB AG seit dem Jahr 2017 nicht mehr in der Lage, mit dem Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft die Investitionen zu finanzieren, die für den Betrieb notwendig sind.

Anstatt also dem Ziel einer zuverlässigen und attraktiven Schienenmobilität in Deutschland näher zu kommen, hat sich die DB AG davon entfernt. Dass die Leistungen der DB AG im Kerngeschäft in Deutschland immer schlechter werden, dafür gibt es zahlreiche Hinweise:

  • Pünktlichkeit: weniger als drei von vier Fernverkehrszügen sind pünktlich.
  • Zugflotte und qualifiziertes Personal für den Betrieb sind nur eingeschränkt verfügbar.
  • Das Schienennetz stößt an seine Kapazitätsgrenzen und ist in weiten Teilen marode.
  • Der Schienengüterverkehr und das deutsche Regionalverkehrsgeschäft der DB AG stagnieren.


Es stellt sich die Frage: Was machte, was macht der Eigentümer? Wo ist der Bund?

Er lässt gewähren, lässt die DB AG weltweit als Universalkonzern agieren, füllt seine Rolle als Eigentümer und aufsichtsführende Instanz nicht aus. Und: Der Bund positioniert sich nicht. Keine klare Aussage, ob sich die DB AG nun gewinnorientiert oder doch gemeinwohlorientiert ausrichten soll. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Untätigkeit der Bundesregierung. Dabei ist der Verfassungsauftrag eindeutig.

Auch die Verantwortung des Bundes ist eindeutig. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht Ende 2017 klar hingewiesen: Der Bund trägt auch die Verantwortung für die unternehmerische Tätigkeit der DB AG – jetzt und in der Vergangenheit.

Der Bund muss jetzt Klarheit schaffen. Dabei reicht es nicht aus, dass sich die Bundesregierung in den Medien unzufrieden mit der Leistung der DB AG zeigt. Der Bund muss jetzt seinen Verfassungsauftrag mit Leben füllen und endlich seine Rolle als Eigentümer der DB AG konsequent wahrnehmen. Dazu muss er sagen, was für eine Bahn und wie viel Bahn er haben möchte.

Es ist höchste Eisenbahn – und zwar für den Bund. Er muss

  • sich klar positionieren, sagen, was er will,
  • in diesem Sinne muss er die DB AG strukturell weiterentwickeln,
  • wir empfehlen dem Bund dringend, Antworten zu finden auf zentrale Fragen, wie z. B.
  • zu seiner Rolle als Eigentümer,
  • zur mittel- und langfristigen Strategie der DB AG, zu ihren Geschäftsfeldern, zum Auslandsgeschäft,
  • zu möglichen Verkäufen,
  • aber auch dazu, welches das beste Organisationsmodell für die DG AG sein könnte.


Zu diesen grundsätzlichen Fragen muss Klarheit bestehen, wenn das Ziel einer attraktiven und zuverlässigen Schienenmobilität in Deutschland erreicht werden soll.

Eine Mobilität, die Verfassungsauftrag ist – und die nicht zuletzt angesichts der Klimaziele von zentraler Bedeutung ist.

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