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Tagesspiegel

Datum 05.12.2019

Interview des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller

Schön, dass Sie pünktlich sind. Die Deutsche Bahn AG hatte also keine Verspätung? 

Wir sind vorhin mit dem ICE aus Bonn angekommen, es hat alles prima geklappt. Leider kann ich als regelmäßiger Bahnfahrer die DB AG nicht immer so loben. Es geht einfach zu viel schief. Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte Züge, Servicemängel, schlechte und verpasste Anschlüsse, nervige Wartezeiten, jeder Reisende kennt das. Angesichts der enormen Milliardensummen an Steuergeld, die jedes Jahr in den Schienenverkehr fließen, haben wir alle eine bessere Bahn verdient.

Und schon sind wir beim Thema. Die DB AG ist hoch verschuldet, die Infrastruktur überlastet und zusehends marode, der Schienenverkehr droht zum Fass ohne Boden zu werden. Wie konnte es in unserem Hightech-Land soweit kommen?

Ganz klar: Wir reden hier über politische Versäumnisse, die die Bahnfahrer nicht nur viele Nerven kosten, sondern jeden Steuerzahler auch viel Geld. Die Deutsche Bahn AG ist der größte Subventionsempfänger in Deutschland. Bis 2030 sollen nochmals viele, viele Milliarden für eine bessere Bahn fließen. Diese sollten optimal eingesetzt werden. Das ist seit vielen Jahren nicht der Fall, weil die Regierung die Strukturmängel nicht beseitigt und ihrer großen Verantwortung nicht gerecht wird.  

Oft kommt die Frage: Warum lässt der Bundesrechnungshof das zu?

Über die Strukturen im deutschen Schienenverkehr und die DB AG als größten Staatskonzern bestimmt die Politik, nicht wir als Prüfbehörde. Der Bund ist Eigentümer, setzt die Rahmenbedingungen und soll auf deren Einhaltung mit seinen Aufsichtsbehörden achten. Als Bundesrechnungshof haben wir auf eine Vielzahl von Fehlentwicklungen und deren Ursachen in zahlreichen Sonderberichten hingewiesen, Verbesserungen gefordert und Lösungen vorgeschlagen.

Was hilft das, wenn kritische Berichte Ihrer Behörde wie zum Skandalprojekt Stuttgart 21 bis heute teils sogar in der Geheimschutzstelle weggeschlossen werden und sogar für Bundestagsabgeordnete nur unter strengsten Auflagen zugänglich sind?

Ich kann Ihnen versichern: Auch unser Bericht zu den enormen Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 hat damals die Adressaten im zuständigen Haushaltsausschuss des Parlaments und in den verantwortlichen Ministerien der Bundesregierung erreicht. Generell gilt: Der Bundesrechnungshof ist gemäß Grundgesetz eine von Parlament und Regierung unabhängige Prüfbehörde. Aber auch für unsere Tätigkeit gibt es klare Vorschriften. Bei der DB AG gilt seit der Bahnreform 1994 das Aktienrecht, es gibt Geschäftsgeheimnisse. Deshalb dürfen manche Prüfberichte nicht veröffentlicht werden. Das bedeutet aber gewiss nicht, dass sie unbeachtet bleiben.

Tatsache ist jedoch, dass auch die vielen kritischen Prüfberichte des Rechnungshofs zu Stuttgart 21, der Finanzierung der Infrastruktur, Systemfehlern der Bahnreform und anderen Missständen bei der DB AG und im Schienenverkehr offenkundig wenig an den Defiziten in so vielen Bereichen geändert haben…  

Wir liefern zunächst einmal Transparenz – ein Wert an sich und der erste Schritt zur Besserung. Leider setzen die zuständigen Ministerien unsere Empfehlungen bis heute nicht mit der nötigen Konsequenz um. Die Zustände im deutschen Schienenverkehr sprechen für sich, gerade auch im Vergleich zu Nachbarländern wie der Schweiz, wo die Bahn meist vorbildlich funktioniert. Man muss leider feststellen: Die Bundesregierung und die DB AG haben versäumt, das Potential für zuverlässige und attraktive Schienenmobilität in Deutschland zu nutzen.

Manche Kritiker sprechen mit Blick auf das Versagen der Bahnpolitik von organisierter Verantwortungslosigkeit. Teilen Sie diese Ansicht?

Unsere Prüfer können viele interne Unterlagen einsehen. Unsere Feststellungen sind eindeutig: Der Bund hat jahrelang tatenlos zugesehen, wie strategische Fehlentscheidungen getroffen wurden und die Infrastruktur trotz immer höherer Zuschüsse immer maroder wurde. So sind viele der mehr als 25 000 Eisenbahnbrücken in schlechtem Zustand und haben die technische Nutzungsdauer überschritten, weil viel zu lange viel zu wenig modernisiert und ersetzt wurde.

Wie ist das zu erklären?

Manche Politiker meinten vielleicht, mit der Bahnreform sei genug getan. So schaute die Regierung zu, wie das Kerngeschäft mit der Schiene und die Infrastruktur ausgezehrt und geschwächt wurden. Die DB-Spitze baute stattdessen mit Zustimmung des Bundes bahnfremde Geschäfte aus – auch im Ausland, ohne nennenswerten Effekt für die Eisenbahn in Deutschland. Beispiel: das britische Regionalverkehrsunternehmen Arriva. Diese weltweiten Geschäftstätigkeiten der Bahn sind durch den grundgesetzlichen Gewährleistungsauftrag des Bundes nicht gedeckt. Es wurden Schulden angehäuft und die Finanzsituation immer kritischer. Und gleichzeitig wurden unwirtschaftliche Großprojekte wie S 21 ohne jede Kostenehrlichkeit weiterbetrieben.

Nun soll alles besser werden. Verkehrsminister Andreas Scheuer verspricht den Wow-Effekt bei der Bahn. Rund 86 Milliarden Euro sollen allein in den Erhalt des Schienennetzes fließen, Dutzende  weitere Milliarden in Ausbau und Digitalisierung. Gibt es eine neue goldene Ära der Schiene?

Das wäre dringend nötig, denn eine Verkehrswende hin zu viel mehr klimaneutralem Personen- und Güterverkehr auf der Schiene ist von überragender Bedeutung, wenn wir die Klimaziele erreichen und unsere Standortqualität im internationalen Wettbewerb sichern wollen. Doch mehr Geld allein wird dafür nicht reichen – wir brauchen effizientere Strukturen, geeignete Anreizsysteme und deutlich mehr Transparenz. Es sind mutige Reformen nötig und nicht nur Ankündigungen oder Querelen um Vorstandsposten bei der DB AG.

Minister Scheuer hat DB-Chef Richard Lutz bereits mehrere Ultimaten für Verbesserungen gesetzt, der Konzern hat mit der Strategie „Starke Schiene“ sein Konzept für eine bessere Bahn vorgelegt. Das klingt doch so, als würden die Probleme nun entschlossen angepackt…

Tatsache ist, dass es beim zentralen Finanzkonstrukt für den Erhalt der Infrastruktur, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), bis 2029 nach dem Willen der DB AG und des Verkehrsministeriums fast genau so weiter gehen soll wie in den letzten elf Jahren. Mehr als 50 Milliarden Euro sollen allein aus dem Bundeshaushalt in ein wenig effizientes, wenig transparentes und zu wenig kontrolliertes System rund um die DB Netz AG fließen. Und das, obwohl mit diesem LuFV-System in den letzten elf Jahren die Probleme, Infrastrukturmängel und der Investitionsstau nicht geringer wurden, sondern im Gegenteil noch zugenommen haben.

Das wiederum klingt nun nach purer Unvernunft. Was steckt dahinter?

Geld allein kann die massiven Probleme der Bahn allenfalls kurzfristig überdecken. Wichtig sind vor allem sinnvolle und zielführende Strukturen.  Die Bundesregierung geht die Strukturmängel aber weiterhin nicht an. Dabei gibt es in erster Linie kein Erkenntnis-, sondern vor allem ein Umsetzungsproblem. Was derzeit passiert, reicht einfach nicht aus. Es müssen Ursachen statt Symptome behandelt werden. Die Regierung verschließt weiterhin die Augen und wird der Verantwortung nicht gerecht, die der Bund als Alleineigentümer der DB AG hat.

Was müsste passieren?

Der Bund muss der Bahn sagen, wo die Reise hingeht, damit die richtigen Weichen gestellt werden. Es braucht nicht nur einen Plan „Starke Schiene“ der DB AG, es braucht vor allem einen verkehrspolitischen Masterplan des Bundes. Der Bund muss der Bahn klare Ziele vorgeben, welche Bahn er in Umfang und Qualität will. Dazu braucht es das passende Modell. Das gilt für die Rechtsform der DB AG und des Schienennetzes, das gilt für das Verhältnis zwischen Bund und Konzern, das gilt für die Aufsicht und für die Konzernstruktur.

Was sollte vor allem geändert werden?

Klar ist: Nur mutige Reformen bringen besseren Zugverkehr. Wir empfehlen der Regierung in unseren Sonderberichten, die Trennung von Netz und Zugbetrieb zu prüfen. Heute ist beides unter dem Konzerndach der DB AG. Bei der Infrastruktur hat der Bund die Pflicht zur Daseinsvorsorge, bei den Verkehrssparten steht die Gewinnorientierung im Vordergrund. Dieses Spannungsverhältnis muss aufgelöst werden, sonst wird es keinen Wandel geben.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD wird diese Trennung ausgeschlossen und der Erhalt des integrierten DB-Konzerns festgeschrieben…

Nötig ist ein Denken außerhalb der Box, über die bisherigen Grenzlinien hinaus. Das haben wir aufgezeigt, die Entscheidungen dazu trifft die Politik. Eine zweite Bahnreform würde viele Chancen eröffnen, für mehr Transparenz und auch für mehr Wettbewerb auf der Schiene. Kern der Reform könnte eine unabhängige Netzgesellschaft sein, als gemeinnützige GmbH. Die politischen Vorschläge dazu gibt es. Auch die Monopolkommission als Beratungsgremium der Regierung fordert die Trennung seit Jahren.

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