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„Wir rücken Ziele und Wirkung in den Fokus“

Der Bundesrechnungshof schaut Behörden und Regierung auf die Finger und kritisiert die Verschwendung von Steuergeldern.

Datum 28.05.2019

Interview des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, mit dem Tax & Law Magazine

Tax & Law:
Herr Präsident, wenn sich der Bundesrechnungshof zu Wort meldet, geht es meist um die Verschwendung von öffentlichen Mitteln. Sind Sie der oberste Haushaltskritiker?

Scheller:
Der Staat und die Bürger haben ein Recht darauf, dass aus den verfügbaren Ressourcen ein größtmöglicher Nutzen für das Gemeinwesen entsteht. Ich nehme einmal ein Beispiel aus dem Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums, ein Förderprogramm, das sich mit Energieeffizienz befasst. Wie erfolgreich ist so ein Programm ifür die Energiewende der Regierung? Werden die Ziele erreicht? Gibt es überhaupt Ziele? Wir rücken also Ziele und Wirkung in den Fokus.

Tax & Law:
Sie treten mächtigen Politikern und Ministern auf die Füße. Woher nehmen Sie dieses Selbstverständnis?

Scheller:
Aus der Verfassung. Wir sind zwar kein Verfassungsorgan, haben aber einen Verfassungsauftrag. Das Grundgesetz garantiert unsere Unabhängigkeit und Stellung im staatlichen Gefüge. Dazu gehört eine notwendige Distanz zur Bundesverwaltung, zu Ministern, aber auch zu Abgeordneten. Wir sind weder Teil der Regierung noch des Deutschen Bundestages.

 

Tax & Law:
Vielleicht hilft Ihnen auch Ihre über 300-jährige Tradition und Erfahrung.

Scheller: Wenn Sie das nicht auf mich persönlich beziehen, sondern auf die Institution – ja natürlich. Und wenn Sie schon nach unserer Historie fragen, bemerkenswerterweise war es ausgerechnet der absolutistische Staat, der vor 300 Jahren auf eine externe Finanzkontrolle drängte. Das hatte in Preußen mit der verschwenderischen Staats- und Lebensführung des damaligen Königs Friedrich I. zu tun, der sehr viel in sein eigenes Vergnügen und in einen prunkvollen Hofstaat investierte. Als sein Sohn Friedrich Wilhelm I. die Amtsgeschäfte übernahm, musste er erst einmal die Staatsfinanzen sanieren und Ausgaben zusammenstreichen. Triebfeder für die 1714 gegründete „General-Rechen-Kammer“ war der bessere Staat, der sparsame Staat, der investierende Staat. Damals bedeutete das natürlich auch viel Geld fürs Militär, es ging aber auch um eine Verwaltung, die für seine preußischen Staatsbürger da sein sollte.

 

Tax & Law:
Wenn man den Mächtigen auf die Finger schaut, hat es sicher immer wieder auch Ärger gegeben, oder?

Scheller: Es gab natürlich viele Brüche in unserer Geschichte, bis dann nach dem Zweiten Weltkrieg der Bundesrechnungshof gegründet wurde mit den Maßstäben der Rechts- und Regeltreue, der Ordnungsmäßigkeit, und der Wirtschaftlichkeit. Ob die Bundesverwaltung wirtschaftlich und sparsam mit den Haushaltsmitteln umgeht, ist eine unserer zentralen Fragen.

 

Tax & Law:
Ist der Bundesrechnungshof dafür ausreichend ausgestattet?

Scheller:
Auch der Bundesrechnungshof muss mit öffentlichen Mittel sparsam haushalten. Wir haben gut 900 Prüferinnen und Prüfer, bei knapp über 1.100 Beschäftigten insgesamt. Damit können wir natürlich nicht alles und jede Einzelheit in der Bundesverwaltung abdecken. Wir müssen uns gut überlegen, was wir prüfen. Häufig sind wir dort, wo viel Geld ausgegeben wird, es große Risiken gibt oder der Bund gerade Neuland betritt.

 

Tax & Law:
Der Bund hat zum fünften Mal in Folge einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet. Hat er aber auch sparsam gewirtschaftet?

Scheller: In der Bundesrepublik haben wir seit rund acht Jahren sehr günstige Rahmenbedingungen, profitieren von einem jährlich steigenden Steueraufkommen, haben in vielen Bereichen immer noch eine gute Konjunktur und eine hohe Beschäftigung. Das alles beschert dem Staat hohe Einnahmen. Andererseits haben wir in den letzten Jahren immer mehr Geld in staatliche Leistungen gesteckt. Leistungsverbesserungen vor allem für Soziales, in der Rente, für Familien . Das geht einher mit Risiken wie der demographischen Entwicklung, der Modernisierung der Infrastruktur oder dem Brexit. Der Staat müsste eigentlich Geld zurücklegen bzw. stärker Schulden tilgen. So hat die die Bundesregierung in 2009 einen Investitions- und Tilgungsfond aufgelegt, als Reaktion auf die Wirtschaftskrise. 19 Milliarden Euro zusätzliche Schulden, die wir jetzt in den guten Zeiten doch hätten tilgen können.

 

Tax & Law:
Das interpretieren wir jetzt mal als ein nicht so gutes haushalten der Bundesregierung. Wenn wir den Steuerbereich betrachten – wo sehen Sie aus Sicht des Bundesrechnungshofes Verbesserungsmöglichkeiten?

Scheller:
Wir haben im Bereich der Steuern einen grundsätzlichen Bereinigungs- und Konsolidierungsbedarf. Damit meine ich zum Beispiel Vergünstigungen, die seit 40 oder 50 Jahren existieren und mit Steuerausfällen einhergehen. Nehmen wir die Umsatzsteuer, wo es neben dem regulären Satz von 19 Prozent auch einen ermäßigten von 7 Prozent gibt. Muss man viele Ermäßigungen, die einst aus bestimmten, damals sicher auch guten Gründen gewährt wurden, nach so langer Zeit nicht einmal auf den Prüfstand stellen? Es ist auch kaum zu erklären, warum Lebensmittel mal voll und mal nur ermäßigt besteuert werden. Während manche Grundnahrungsmittel mit 19 Prozent (verpacktes Trinkwasser) besteuert werden, fallen für bestimmte Feinschmeckerprodukte (z. B. Wachteleier oder Froschschenkel) nur 7 Prozent an.

 

Tax & Law:
Da ist vieles historisch gewachsen.

Scheller: Ja, das kann man auch alles verteidigen…

 

Tax & Law:
…was wir hier gar nicht tun wollen…

Scheller:
… und die ganze Chronologie erzählen. Aber das ist nicht unsere Rolle. Sondern wir stellen grundsätzliche Fragen. Das gehört zu den Aufgaben einer externen Finanzkontrolle dazu. Schauen Sie sich die Mineralölsteuer an. Das Diesel-Privileg an der Tankstelle ist vor 30 Jahren entstanden, aus damals sicher gut nachvollziehbaren Gründen. Aber überzeugen die heute noch? Oder ein anderes Thema: Wir erleben eine absolute Hochkonjunktur in der Bauwirtschaft. Handwerker zu bekommen ist für alle schwer geworden. Aber wieso privilegieren wir dann noch immer bei der Einkommensteuer die Handwerkerleistung?

 

Tax & Law:
Den Steuervorteil nimmt man doch gerne mit.

Scheller:
Klar. Nur wenn wir eine Vollauslastung des Handwerks haben und die Nachfrage prozyklisch auch noch subventionieren, dann darf doch die Frage erlaubt sein: Ist hier nicht politisches Handeln gefordert? Hier sollte die Politik priorisieren und konsolidieren.

 

Tax & Law:
Ein anderes Thema sind die Hinterziehungszinsen bei Steuervorauszahlungen. Wie kommt der Bundesrechnungshof darauf, sich das genauer anzuschauen?

Scheller: Wir haben gute Prüferinnen und Prüfer, die sich unvoreingenommen Systeme anschauen. Bei der Jahressteuererklärung ist es so, dass Hinterziehungszinsen anfallen können. Das gleiche gilt auch für die monatlich anstehenden Vorauszahlungen. Daran hat aber kaum jemand in der Finanzverwaltung gedacht. Wir haben das aufgedeckt und festgestellt, dass seit 2010 keine Hinterziehungszinsen auf nicht geleistete Vorauszahlungen in Höhe von einer Milliarde Euro erhoben wurden. Mit dem Geld kann man allerhand machen. Ich hätte da noch mehr Beispiele.

 

Tax & Law:
Gerne.

Scheller: Nicht angegebene, aber zu versteuernde Agrarsubventionen. Ungerechte Steuerbegünstigung bei einer zusätzlichen Entlohnung von Beschäftigten über Prepaid-Kreditkarten. Durch die Zollverwaltung verschleppte Steuerverfahren in Millionenhöhe. Oder schauen wir uns die Ausgabenseite an: Beispiel Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, eines der  größten und kostspieligsten Bauvorhaben der letzten Jahre.

 

Tax & Law:
Was ist aus Ihrer Sicht falsch gelaufen?

Scheller:
Bei großen, komplexen Projekten müssen Bestand und Bedarf in der Planungsphase vollständig und lückenlos festgestellt werden. Dazu gehört eine objektive und ehrliche Analyse aller Risiken und Kostenfaktoren. Nachträge und Änderungen während der Ausführung verzögern regelmäßig die Fertigstellung eines Projektes und verteuern es. Risikoehrlichkeit, Kostenehrlichkeit und eine vollständige Bestands- und Bedarfsanalyse sind also notwendige Voraussetzungen, wenn Infrastrukturvorhaben nicht finanziell aus dem Ruder laufen sollen. Das gilt übrigens auch für Bundeswehr und Bahn. Ein Risikofaktor ist bei Stuttgart 21 die schwierige Gesteinssituation beim Tunnelbau. Das muss angemessen berücksichtigt werden. Heute sprechen wir also  nicht mehr von 2,8 Milliarden Euro Kosten, sondern von 8,2 Milliarden Euro. Bei solchen Kostensteigerungen drängt sich auch häufig der Verdacht auf, dass die Risiken und Chancen eines Projektes anfangs gefällig bewertet werden, um sich eine politische Entscheidung zu sichern.

 

Tax & Law:
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede Ihres Rechnungshofes zu einer Wirtschaftsprüfgesellschaft?

Scheller:
Unsere Maßstäbe sind immer Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Wir fragen zudem, ob die die Ziele einer Maßnahme so erreicht wurden, wie man es vorhatte, die Maßnahme also wirkte und Erfolg hatte. Auch bei unseren Prüfungen von Beteiligungen des Bundes an Unternehmen schauen wir uns nicht nur das Zahlenwerk an, ob Fakten, Zahlen stimmen und die Bücher in Ordnung sind. Es geht bei Bundesbeteiligungen immer um die Frage des Bundesinteresses. Nimmt das Unternehmen eine Aufgabe wahr, die im staatlichen Interesse ist? Ist das Allgemeinwohl im Blick? Häufig geht es ja nicht um einen erwerbswirtschaftlichen Zweck per se, sondern um Daseinsvorsorge. Da kommt es natürlich auch darauf an, dass Ausstattungen und Gehälter im Rahmen bleiben. Wir schauen auch, wie die Verwaltung ihre Aufsicht wahrnimmt. Werden die eigentlichen Ziele noch verfolgt? Gibt es eine echte Kontrolle?

 

Tax & Law:
Im Beratungsgeschäft ist die Digitalisierung ein großes Thema. Spielt das auch bei Ihrer Arbeit eine Rolle?

Scheller:
Die Digitalisierung der Bundesverwaltung, insbesondere aber auch der Finanzverwaltung ist ein Megathema. Deshalb prüfen wir diese Entwicklung intensiv. Wir besprechen das auch mit den Kollegen der Landesrechnungshöfe, denn Steuern erheben in der Regel die Finanzverwaltungen der Länder im Auftrag des Bundes. Dazu schauen wir uns aber auch genau an, was das Bundesfinanzministerium und das Bundeszentralamt für Steuern in Sachen Digitalisierung tun.

 

Tax & Law:
Was ist Ihr Eindruck?

Scheller:
Da ist noch Luft nach oben. Wir machen aber keinem Finanzamt Vorwürfe, sondern wir gucken uns ja immer das System an und machen Verbesserungsvorschläge. So wird da ein Schuh draus. Grundsätzlich steht bei der Digitalisierung Effizienz, Sicherheit und Bürgernutzen ganz vorne. Ich finde es im Zeitalter der Digitalisierung selbstverständlich, dass – Stichwort Onlinezugang – wir Bürger verschiedene Verwaltungsakte einfach von zuhause oder mit dem Smartphone erledigen können. Etwa Meldeamt-Antragsformulare elektronisch ausfüllen und den Pass anschließend nur noch abholen. Spart übrigens Zeit.

 

Tax & Law:
Zum Schluss möchten wir noch selbstkritisch ein Thema anschneiden. Berater für die öffentliche Hand sind in die Kritik geraten, insbesondere für das Verteidigungsministerium. Können Berater gut unterstützen? Ist das effizient? Wo sehen Sie die Grenzen?

Scheller:
Grundsätzlich braucht auch der Staat externe Beraterleistungen – ganz außer Frage. Aber wichtig ist: Wann, wo und wofür genau ist die Leistung notwendig. Diese Fragen müssen zu Beginn geklärt sein. Und eine Bundesbehörde muss sich fragen: Wie viel ministerielle Kernleistung muss ich mit eigenen Beschäftigten selbst erbringen? Das ist enorm wichtig, denn wenn ich im hoheitlichen Kernbereich des Staates wie der Gesetzgebung Verantwortung trage, muss ich mich zunächst immer mit eigener Expertise ausrüsten. Ich muss verhindern, dass ich von anderen Interessen gesteuert werden kann. Es darf keinen Steuerungs- und Kontrollverlust geben. Unsere Prüfungsergebnisse zeigen aber, dass gerade auch in Kernbereichen Abhängigkeitsverhältnisse zu externen Beratern bestehen.

 

Tax & Law:
Und wenn es innerhalb der Behörden nicht den notwendigen Sachverstand gibt?

Scheller:
Natürlich weiß ich, dass die Bundesverwaltung in den vergangenen Jahren geschrumpft ist und es in den Häusern auch schon mal an eigener Expertise fehlt. Deshalb ist es in der Bundesverwaltung ein Dauerthema, Beratungsleistungen extern einzukaufen. Das muss in einem Kostenrahmen bleiben, und es gibt Vergabeverfahren, die nach Recht und Gesetz stattfinden müssen, um das wirtschaftlichste Angebot bekommen. Aber Beratungsaufträge freischwebend, freihändig zu vergeben, das geht eben nicht. Deshalb appelliere ich an alle Verantwortlichen, die Regeln einzuhalten und die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit im Auge zu behalten.

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