Bundeshaushalt: Kontrollverlust verhindern, Handlungsfähigkeit sichern
Datum
01.03.2023
Pressestatement anlässlich der Veröffentlichung der Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Kay Scheller, zur Aufstellung der Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 und die Finanzplanung 2027
Heute geht es um eine beratende Stellungnahme für die Bundesregierung. Als Präsident des Bundesrechnungshofes bin ich gleichzeitig Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV). Mit der Aufgabe, durch Vorschläge, Gutachten oder Stellungnahmen auf eine wirtschaftliche Erfüllung der Aufgaben des Bundes einschließlich seiner Sondervermögen und Betriebe hinzuwirken – auch auf eigene Initiative hin.
Im März 2023 startet die Bundesregierung, das Bundesfinanzministerium, das Verfahren zur Aufstellung für den Bundeshaushalt 2024 und die Finanzplanung 2025 bis 2027. Mitte März kommt dann der Eckwertebeschluss. Er legt die geplanten Einnahmen und Ausgaben für diese Zeiträume fest. Diese Haushaltsaufstellung ist der Anlass für eine Bestandsaufnahme zur Lage der Bundesfinanzen.
Die Fakten sind klar, hier gibt es kein Erkenntnisproblem. Für die Bewältigung der schweren Krisen der letzten 3 Jahre hat der Bund fast 850 Mrd. Euro neue Schulden vorgesehen. Zuvor hat er in über 70 Jahren Bundesrepublik Schulden von rund 1,3 Billionen Euro angehäuft. Darin enthalten: alle Krisen dieser 7 Jahrzehnte und auch der Wiedervereinigung. Dieser Schuldenberg wächst durch die Beschlüsse der letzten drei Jahren noch einmal um 60 % auf mehr als 2,1 Billionen Euro massiv an.
Für die enorme Verschuldung zahlt der Bund einen hohen Preis. Die Zinswende zur Bekämpfung der Inflation lässt seine Zinsausgaben hochschnellen. Während er 2021 knapp 4 Mrd. Euro Zinsen zahlte, werden es 2023 fast 40 Mrd. Euro sein – eine Verzehnfachung mit weiter steigender Tendenz. Eine Verbesserung ist auf Jahre nicht in Sicht, zumal der Bund sich die günstigen Konditionen der letzten Jahre nicht langfristig gesichert hat.
Zudem verlangt das Grundgesetz ja auch die Tilgung der in der Notlage aufgenommenen Kredite. Die Tilgungen sollen 2028 beginnen und erst 2061 enden. Eine weitere finanzielle Bürde für die junge Generation von heute. Dazu ein Beispiel: Ein heute dreizehnjähriges Kind, das im Jahr 2028 mit 18 Jahren in das Berufsleben eintritt, zahlt bis zu seinem 50. Lebensjahr mit seinen Steuern die Tilgung der in drei Jahren aufgenommenen Krisenkredite plus die darauf entfallenden Zinsen.
Die Krisenkredite vertiefen auch die Schuldenkluft zwischen Bund auf der einen sowie Ländern und Gemeinden auf der anderen Seite weiter. Der Bund macht Rekordschulden, während die Länder in ihrer Gesamtheit in 2022 positive Haushalte haben werden. Im Ergebnis finanziert der Bund mit seinen neuen Schulden die Konsolidierung der Länderhaushalte. Durch dauerhaften Verzicht auf Steueranteile zu Gunsten von Ländern und Gemeinden erodiert die Finanzierungsbasis. Allein von 2022 bis 2026 entgehen dem Bund rund 202 Mrd. Euro, die stattdessen Ländern und Gemeinden zu Gute kommen.
Hinzu kommt fehlende Transparenz: Der Bundeshaushalt bildet die wahre Lage der Bundesfinanzen nicht mehr ab. Denn ein erheblicher Teil der Krisenkredite liegt in Sondervermögen, also außerhalb des Bundeshaushalts. Diese Flucht in Sondervermögen ist nicht nur intransparent, sondern umgeht die Schuldenregel des Grundgesetzes.
Schuldenberg, Zinslasten und Tilgung, Bund-Länder-Finanzen und Aushöhlen der Schuldenbremse. Sie treffen auf einen riesigen Modernisierungs- und Nachholbedarf bei Infrastruktur, Verteidigung, Digitalisierung und Klimaschutz sowie den demografischen Wandel und steigende Kosten in den Sozialversicherungen. Unter dem Strich sind große Teile des Bundeshaushalts bereits gebunden, seine Krisenfestigkeit wird immer geringer.
Die Dynamik der Neuverschuldung und ihre Folgen drohen die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen und damit auch die staatliche Handlungsfähigkeit ernsthaft zu gefährden. Künftige Krisen können aber nur mit tragfähigen Staatsfinanzen gemeistert werden. Nur so kann der Bund auch in schwierigen Lagen die Kontrolle behalten und kommenden Herausforderungen begegnen. Dazu bedarf es jetzt klarer, kluger und auch schmerzhafter Entscheidungen.
Um weiter das Heft des Handelns in der Hand zu halten, müssen Bundesregierung und Parlament aus Sicht des BWV jetzt:
- die Dynamik der Neuverschuldung stoppen,
- ein Reporting zu den steigenden Zinsausgaben einführen,
- die Belastung künftiger Generationen durch eine schnellere Tilgung der Krisenkredite reduzieren,
- in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine Entlastung des Bundes durchsetzen,
- die Entkernung des Bundeshaushalts durch die Flucht in Sondervermögen rückgängig machen und
- die vom Bundesminister der Finanzen auch für die Haushaltspolitik angekündigte „Zeitenwende“ umsetzen, und über eine Bestandsaufnahme alle Einnahmen und Ausgaben auf den Prüfstand stellen und neu priorisieren. Konkret schlägt der BWV u.a. vor,
- das strukturelle Kernproblem „Versteinerung“ aufzulösen und Haushaltspolitik nicht kurzfristig zu denken,
- den Bundeshaushalt konsequent auf Kernaufgaben des Bundes und wichtige Zukunftsfelder auszurichten,
- die Ausgaben von konsumtiven zu investiven mit Zukunftswirkung verlagern,
- keine neuen Maßnahmen ohne Klärung ihrer langfristigen Finanzierungsmöglichkeit zu beschließen,
- langfristige Tragfähigkeitskonzepte für alle Sozialversicherungszweige zu entwickeln.
Denn eins ist klar: Regierung und Parlament sind gefragt, gut zu haushalten. Sie haben die Verantwortung, abzuwägen, Konflikte auszutragen und Entscheidungen zu treffen. Anstatt den einfachen Weg zu gehen und diese Entscheidungen über Schulden in die Zukunft zu verlagern.
Mehr zu den Feststellungen und Empfehlungen lesen Sie in der Stellungnahme des BWV an das Bundesministerium der Finanzen: