Dauerkrise statt struktureller Weiterentwicklung bei der DB AG
Datum
15.03.2023
Statement des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, anlässlich der Zuleitung eines Sonderberichts zur Dauerkrise der Deutschen Bahn AG
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor vier Jahren hatten wir bereits auf grundlegende Fehlentwicklungen bei der Deutschen Bahn AG (DB AG) hingewiesen.
Heute beurteilen wir erneut die Lage des Konzerns und die Rolle des Alleineigentümers Bund – in einem neuen Sonderbericht für den Deutschen Bundestag.
Unsere Bilanz ist ernüchternd: Nach vier offensichtlich verlorenen Jahren ist das System Eisenbahn sogar noch unzuverlässiger geworden und die wirtschaftliche Lage der DB AG hat sich weiter verschlechtert. Die Krise der DB AG wird chronisch, der Konzern entwickelt sich zu einem Sanierungsfall, der das gesamte System Eisenbahn gefährdet.
Zustand der DB AG verschlechtert sich weiter
Mehr denn je steht der Bund gravierenden strukturellen, finanziellen und betrieblichen Problemen gegenüber. Diese haben sich in Anzahl und Dringlichkeit sogar verschärft. Und wir alle spüren das im Alltag:
Unpünktlichkeit nimmt weiter zu
Für die Leistungsfähigkeit der DB AG ist die Pünktlichkeitsquote eine der wichtigsten Kennzahlen. Sie befindet sich seit 10 Jahren auf einem unbefriedigenden Niveau. 2021 war jeder vierte Zug im Fernverkehr unpünktlich, 2022 sogar jeder dritte – ein Negativrekord. Im Nah- und Güterverkehr sieht es nicht besser aus. Seit Jahren ist auch jeder vierte Güterzug unpünktlich. Die Kundenansprüche an Pünktlichkeit und Verlässlichkeit verfehlt die DB AG erheblich.
Schieneninfrastruktur veraltet
Verantwortlich für die Unpünktlichkeit ist unter anderem die überalterte und vernachlässigte Schieneninfrastruktur. Häufige Ausfälle der Anlagen und chronische Kapazitätsengpässe bremsen den Schienenverkehr regelrecht aus. Die Eisenbahninfrastruktur ist der Nachfrage, die weiter zunehmen wird, nicht gewachsen.
Kerngeschäft in Deutschland ist defizitär
Die wirtschaftliche Situation des Konzerns verschlechtert sich immer mehr. In den bahnbezogenen Geschäftsfeldern (DB Cargo, DB Regio, DB Fernverkehr) sind die Erträge rückläufig oder es entstehen zum Teil massive Verluste. Allein DB Cargo hat in den letzten zehn Jahren 3 Mrd. Euro Verlust gemacht.
Verzetteln in internationalen und bahnfremden Aktivitäten
Die vielfältigen und weltweiten Geschäftstätigkeiten der DB AG jenseits der Eisenbahn in Deutschland binden Management- und Finanzressourcen. Auch diese Unternehmungen sind in Teilen defizitär. Weltweit und bahnfremd passt nicht zum Gewährleistungsauftrag aus dem Grundgesetz: Betrieb, Ausbau und Erhalt der Schiene in Deutschland.
Verschuldung wächst immer mehr
Die DB AG kann ihre Kosten und Investitionen schon länger nicht mehr aus Einnahmen decken. Sie musste sich in den letzten Jahren daher kontinuierlich weiter verschulden. Seit 2016 stieg die Verschuldung um 10 Mrd. Euro auf über 30 Mrd. Euro an – das entspricht täglich 5 Mio. Euro neuen Schulden. Und das, obwohl der Staat die DB AG auf unterschiedlichen Wegen immer stärker finanziell unterstützt. Diese öffentlichen Zahlungen von zuletzt durchschnittlich 16,6 Mrd. Euro im Jahr überstiegen dabei die Einnahmen aus Infrastrukturentgelten, Transport- und Fahrgastumsätzen. Die DB AG entwickelt sich immer mehr zu einem Fass ohne Boden.
Ziele werden verfehlt
Bund und Bahn verfehlen auch ihre ambitionierten verkehrs- und klimapolitischen Ziele. Nämlich den Personenverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Und im gesamten Gütertransport sollte der Sektor Schiene einen Anteil von 25 % erreichen. Diese Wachstumsziele sind außer Reichweite.
Reputation enorm beschädigt
Dies alles zusammen beschädigt die Reputation der DB AG immer mehr. Da helfen auch werbewirksame Strategien und Versprechen wie „Starke Schiene“ oder „Deutschlandtakt“ nicht. Die DB AG hält sie nicht ein, das sind bisher Worthülsen geblieben.
Alleineigentümer Bund ist zu passiv und vernachlässigt das Allgemeinwohl
Die Dauerkrise ist aber nicht nur durch die DB AG verursacht. Der Bund hat durch eigene Versäumnisse wesentlich dazu beigetragen:
- Er hat seine eisenbahnpolitischen Ziele inhaltlich nicht klar definiert.
- Ihm fehlt nach wie vor eine zielgerichtete Eigentümerstrategie.
- Der Bund muss die Organisationsfrage stellen. Eine neu geschaffene konsolidierte Infrastruktursparte allein wird die Probleme nicht lösen.
- Er bekommt seinen langjährigen Kontrollmangel über den Konzern nicht in den Griff.
Dabei hat der Bund hat ein vitales Interesse an einem leistungsfähigen Eisenbahnsystem in Deutschland. Er hat schließlich einen verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrag. Das Grundgesetz verpflichtet ihn, zum Allgemeinwohl eine den Verkehrsbedürfnissen entsprechende Versorgung mit Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnverkehrsangeboten zu gewährleisten. Deshalb darf der Bund diese Probleme nicht weiter hinnehmen.
Ursachen angehen – ohne Denkverbote
Schon 2016 kündigte der Vorstand spürbare Fortschritte für die Bahnkunden an. Es folgten weitere Ankündigungen, die Situation zu verbessern. In der Realität hat sich die Lage aber deutlich verschlechtert. Nach diesen verlorenen Jahren muss die Bundesregierung endlich entschlossen gegen die Ursachen der Dauerkrise vorgehen. Und den Konzern wirksam, umfassend und schnell umstrukturieren. Erforderlich ist dafür:
- Der Bund muss endlich den abstrakten Gewährleistungsauftrag konkretisieren. In einem Gesamtkonzept mit nachvollziehbaren Zielen, validen Kostenermittlungen und einem realistischen und zugleich ambitionierten Zeitplan. Es muss dabei klar sein, „was für eine Bahn“ und „wieviel Bahn“ der Bund „zu welchen Kosten“ haben will.
- Vom Gesamtkonzept ausgehend braucht der Bund die seit langem angekündigte Eigentümerstrategie – um die DB AG auf seine Interessen auszurichten. Kernfrage ist, was in den Konzern gehört, um den Gewährleistungsauftrag zu erfüllen. Management- und Finanzressourcen dürfen nur dort zum Einsatz kommen, wo sie tatsächlich Probleme im Schienennetz und -verkehr lösen. Engagements im außereuropäischen Ausland oder in anderen Sparten sind einzustellen.
- Die Struktur des Systems Eisenbahn weiterentwickeln und das Bundesunternehmen DB AG so ausrichten, dass das System Eisenbahn als Ganzes profitiert. Denn die bisherige Organisation als integrierter Konzern hat sich offensichtlich nicht bewährt. Denn um seinen Gewährleistungsauftrag erfüllen zu können, braucht der Bund die Kontrolle über das Schienennetz. Gleichzeitig sollte er mehr Wettbewerb auf der Schiene ermöglichen.
- Der Bund muss beim Konzern Einfluss nehmen. Aktive Beteiligungsführung heißt:
- Die Eignung verschiedener Rechtsformen prüfen.
- Den Unternehmenszweck klar festlegen und eingrenzen.
- Aufsichtsräte angemessen mit Bundesvertreterinnen und -vertretern besetzen.
- Eine neue Verschuldungsgrenze einführen.
Der Bund muss die DB AG aufgleisen – als verkehrspolitischer Gestalter, Alleineigentümer und Geldgeber kann er die Weichen stellen. Wichtig ist: Was die Schiene nicht stärkt, gehört nicht in den Konzern.